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Kennt ihr auch so Stellen, Plätze oder Orte, zu denen es einen immer mal auf magische Weise hinzieht? Diese Anziehungskraft ist nicht einmal offensichtlich, sondern eher einer versteckten, subtileren Art.
Diese Stellen, an denen auf den ersten Blick nichts anders ist, als anderswo auch, sind dennoch spezieller, eigentümlicher, und sie haben dieses magnetisierend Besondere.
Das sieht aber nur der Eine oder Andere, und die Beschreibung dessen, was es ausmacht, ist mit einfachen Worten kaum möglich. Es reicht auch vielleicht, einfach nur zu spüren, dass es gut tut, ab und an dort zu sein.
Je ruhiger und verschwiegener die Orte sind, zu denen man sich aufmacht, umso behutsamer sollte man sich
verhalten.
Zu einem solch´ wohltuenden, spannenden, vielleicht heiligen Ort, wo so richtig gar nichts los ist, zieht es mich heute.
Hier oben am Rothaarkamm ist der erste Schnee gefallen. Die Hänge nach norden und die Schattenlagen sind weiß. Schnee,
vor allem Neuschnee, macht Landschaften auf besondere Weise still, und es riecht nach nichts mehr.
Für ein Wunder an Leib und Seele muß es nicht Lourdes sein. Es geht auch näher, ich fahre heute nach
Heiligenborn.
Heiligenborn ist vollständig von Wald umgeben. Nicht nur von ein bisschen Wald, nein, sondern richtig grenzenlos umgeben könnte man sagen.
Hätte ich jetzt so eine Flatterdrone, müßte die schon extrem hoch fliegen, um an den Bildrändern irgendwo eine Ecke zu finden, wo kein Wald wäre.
Erreichen läßt sich Heiligenborn nur über 2 schmale Sträßchen. Die eine Strasse schlängelt sich in engen Schleifen von
Feudingen gegen den Lauf der Ilse fast voralpenländisch aus Norden her talaufwärts.

Die andere Variante zweigt am Rothaarkamm von der Eisenstrasse ab und
windet sich steil von oberhalb nach
Heiligenborn hinunter. Diesen Weg, mit dem vorab durchfahrenen Geiersgrund, den wähle ich.
Der alte Wanderparkplatz oberhalb von Heiligenborn wird werktags kaum bis gar nicht angefahren,
der kleine 16V hat ihn daher für sich alleine. Los geht´s, und dann drehe ich mich nochmal kurz um.
Bei sowas bin ich ein klassischer Nochmalrumdreh-Gucker.
Ich weiß ja nicht, was er weiß, aber für mich ist das einfach nur herrlich, und der Blick zurück gehört da hin.
Heiligenborn ist höchstens eine Örtlichkeit, aber längst kein Ort im herkömmlichen Sinne. Und ein Dorf ist es im Grunde genommen schon gar nicht. Aber eine mystische Stelle ist Heiligenborn durchaus!
Den "heiligen Born", der dem Ort vor Jahrhunderten den Namen gab, den gibt es heute immer noch. Es handelt sich dabei um die Ilse-Quelle. Diese Quelle, heute
kaum beworben und touristisch wenig bekannt, war zu Zeiten des Mittelalters eine der bedeutenden Heilquellen Europas! Viele tausend Menschen pilgerten jährlich hier her, um sich an Körper und
Geist zu reinigen.
Krass, und da regt sich heutzutage so manche Millionenstadt auf, wenn sich ein paar wenige hundert Flüchtlinge in Todesangst dort nach Frieden sehnen.
Heilig, oder heilend? Die letzte offiziell bekannte Heilung durch das heilige Ilsewasser fand wohl 1862 statt, als eine schwer gichtkranke Frau nach 6-wöchiger Kur ihre Leiden allesamt verlor.
Steil auf führt mich der Weg aus dem Ort, vorbei an Wochenendhäusern und Hütten zum alten Friedhof. Von dort aus gilt es, den schmalen, aber deutlich ausgetretenen Weg zur Quelle zu finden.

Schattig ist es, schmale Stege über gefrorenem Morast....
...und der eisige Zucker eines beginnenden Winters liegt darüber.

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Wer es nicht kennt, braucht ein wenig Suche, aber ich kenne ja das Terrain. Durch den ersten Schnee dieses Winters schreite ich hinunter
an den "Heiligen Born".
Im Vertrauen in die alten Weisheiten fülle ich am uralten Quellstein
Wasser in einen der dort vorhanden Krüge auf. Man weiß ja nie,
wofür es gut sein mag.
Die Quelle verlassend, folge ich dem Lauf der Ilse wenige Kilometer talabwärts. Weiter unten quere ich
später den Bach, es ist eher
eine Furt, statt ein Weg.
Dann, kurz unterhalb auf der anderen Hangseite, beginnt der Weg hoch zum Weidelbacher Weiher.
Man kann den Weiher von mehreren Seiten aus ansteuern. Die für mich schönste Variante
ist aber die vom Ilsetal aufwärts. Zu einen gehe ich gerne bergan,
und zum anderen bleibt es spannend bis zum letzten Meter.
Der Weiher zeigt sich einem erst, wenn man fast schon drin
steht.
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Offizielle
Informationen über dieses Kleinod finden sich nur spärlich. Dr. Google & Partner wissen kaum etwas, und die Suche nach Informationen in alten Heimatbüchern wäre sicher aufwendig. In meiner
Phantasie sitzen hier im lauen Sommerabend die Liebespaare, und versinken in Hingabe in diesem mystischen Ort. Seerosen blühen im Spätsommer, und das Eis des Winters weicht oft erst spät. Heute
ist es schattig hier im Tal.

Die Stille ist total und allgegenwärtig. Ich brauche nur kurze Zeit des Verweilens, und der eigene Herzschlag wird hörbar. Einklang, irgend sowas nimmt alles in Beschlag. Ich finde hier nichts, was aus dem Takt gerät. Alles scheint sich in den uralten Rhythmus einzuschwingen, der typisch ist für Stille, oder verborgene Orte in der Natur.

Trotz meines Bemühens, hier nicht lauter als nötig einzudringen,
empfinde ich schon alleine das Öffnen meines Rucksacks als störend.

Um den See herum ist alles leise.
Ich liebe das. Es geht auf mich über. Wahrscheinlich ist der Alltag,
den ich sonst kenne, eher eine zweckgebundene Kunstwelt,
und solche losgelösten Momente wie dieser hier die einzig wahrhaftige Realität. Und wie schwer es fällt,
sich von alledem zu lösen!
Nein, es muß nicht Lourdes sein.
Es braucht keine lange Reise, keine hohen Erwartungen und auch kein Publikum. Am Liebsten bliebe ich hier noch eine ganze Weile, und ließe mir die Nasenspitze wärmen von den wenigen spärlichen Sonnenstrahlen, die es durchs Himmelsgewölk hinunter zu mir geschafft haben.
Trotz aller Schönheit schließe ich einfach die Augen. Schauen ist hier gar nicht nötig, und alle anderen Sinne haben auch Pause. Kein Geräusch, kein Windhauch,
keine Gerüche und Düfte. Hier ist nur die stoische, winterliche Landschaft, nur jene allgegenwärtige Natur, die mit mir gemeinsam für einen kurzen Moment den Atem anhält.

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