Alles ist das, was es ist.


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 Zeitig bin ich aufgewacht. Nicht rappelig oder aufgeschreckt, nein, sanft. So, als würde mir jemand ohne zu rütteln eine warme Hand mit leichtem Druck auf die Schulter legen, und ich wie von alleine die Augen öffnen.   4:20 Uhr, und wach bin ich. Einfach so. Werktags klappt das nie, aber am Wochenende geht das seltsamer Weise auch ohne Wecker. Mag vielleicht an der inneren Vorfreude liegen, die für mich die rechte Zeit im Sinn haben mag, wenn ich was Schönes vor habe. Bisschen Morgenroutine, ich beeile mich mit nichts. Zügig fertig bin ich dennoch. Ich habe keine Zeit zu verlieren, es gibt nur die eine.

 

 

 

  Der Rucksack, in dem ein paar Lebensmittel, reichlich Kaffee, und meine Fotoausrüstung stecken, springt mir fast von alleine auf die Schulter. Ein Rucksack, das ist ein Teil der täglichen Bekleidung und ein Teil meiner Geschichte.

 Ohne ist seltsam. Da fehlt beim Gehen was. Mindestens einmal am Tag habe ich ihn seit vielen, vielen Jahren auf. Auch an denen, die nun mal leider nur mit Wecker beginnen.

 

 Kaum Licht, ich sehe fast nichts.

Mit Hilfe  der Taschenlampe suche ich am See den Platz, den ich mir vorab per Karte ausgewählt habe.   Genau hier sollten die Bedingungen stimmen, um die blaue Stunde und den dann folgenden Sonnenaufgang bestens erleben zu dürfen. Für knapp -10 Grad Celsius bin ich gut ausgerüstet und warm bekleidet. Die Kamera muß sehen, wie sie klar kommt. Ich bin gespannt.


  Es braucht nur wenige Minuten, bis alles stimmt. Der Kopf wird frei, und die Gedanken beginnen. Manche tummeln sich noch im Abriss der zurückliegenden Woche, der große Teil von ihnen ist wie von alleine damit zugange, die Situation hier zu sondieren. Binnen kurzer Zeit stehe ich vollständig im Wunder aus Licht & Schatten im Jetzt & Hier.

 Heute morgen so für mich zu sein, zu schauen, mich in alles einzuschwingen und dabei zu fotographieren, das entschleunigt perfekt. Es ordnet meine gequetschte Perestaltik neu. Wenn ich hier über den noch teils vereisten, diffus schimmernden See schaue, und weiter bis hinten zum scharfen Scherenschnitt der Schattenbergen sehe, kommt alles zur Ruhe. Das ist etwas ganz Großes hier. An so einer Stelle wird wohl jeder, der noch irgendwas empfinden mag, von ganz alleine zu einem Denker, einer Philosophin.

2019 © DT-Classics
2019 © DT-Classics

 

 Unsere wundervolle Natur besteht aus unglaublich vielen zärtlichen Nuancen, denen man sich tatsächlich nicht bloß physisch aussetzen sollte, um zu erfahren, worum es geht. Jede Region, jede Landschaft hat ihre Erhabenheit, die es zu entdecken gilt.

 Einmal unabhängig gemacht von Wetter, Uhr- oder Jahreszeiten, lassen sich mir abseits ausgetrampelter Pfade und eingeschliffener Gewohnheiten unfassbar schöne Augenblicke erleben. Es macht absolut Sinn, mit möglichst wachem Gespür schlicht draußen zu sein, und empfindsam zu bleiben. Draußen sein, das ist überhaupt keine vorrangig körperliche Geschichte.

 

 Wer nur vor sich hin läuft, und das Vorgefundene lediglich in Steine, Tiere, Pflanzen, Berge und Wasser dekliniert, der wird das, was er jeweils vor sich hat, wahrscheinlich ausschließlich körperlich erobern.

 

 Schaut man aber nur einen kurzen Moment mit dem erregten Gefühl einer frischen Verliebtheit darauf, also mit wachem Herzen, dann zeigt sich plötzlich eine erhabene Würde in allem, von der man nicht mehr lassen mag. Ihr angemessen zu begegnen, bedeutet, behutsam, andächtig und auf sehr leisen Sohlen hindurchzuschreiten. So, wie durch den Raum einer kleinen Kapelle.

 

 

 

 Die Natur ist authentisch, kommt klar in ihrem eigenen Algorithmus fernab vom menschgemachten Null und Eins. Sie benötigt im Gegensatz zu uns keine künstliche Gegenwelt. Sie ehrt sich durch sich selbst. Stoisch, intuitiv, ohne Eile, und ohne jegliche Sehnsucht nach Gefälligkeiten. Das unterscheidet sie deutlich von uns Menschen, oder uns Menschen von der Natur.

 

 Da haben wir etwas eingebüßt, oder wir hatten es nie.


 Ich meine dieses wahrhaftige, tatsächliche Ruhen einzig und alleine in sich selbst. Wir haben es geschafft, den Weltraum zu erobern, aber jener Raum der Stille in uns selbst, um den sich bewußt oder unbewußt alles dreht, der kommt im Trubel der Banalität abhanden.

 

 Die Kamera kopfüber in Nähe der Blättchen aus Eis, die mir wie farbloses "After Eight",

Blattgold oder zerbrochenes Glas erscheinen, der Rucksack mittlerweile hart gefroren.

Längst haben sich die Farben blau, lila, verwandelt in ein frostiges rosé.

 

2019 © DT-Classics
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  Hinter dem Bergwald hat sich das lila-blaue Licht zusammengezogen zu einem Punkt, an dem es gleich als grelle Sonne erscheinen wird. Die blaue Stunde verwandelt sich mehr und mehr in einen lichtgewaltigen Augenblick. Durch ein kleines, schneisenartiges Tal jenseits des Waldes gleitet schon erstes Licht runter auf das Eis am See.

2019 © DT-Classics
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 Und dann sind sie da. Lichtstrahlen! Wärme! Mit jeder Sekunde, und das meine ich wörtlich, mit jeder Sekunde, die die Strahlen auf mich treffen, kehrt Leben zurück. Die spröde Steifigkeit der 2 Stunden vorher, stehend und verharrend in der Kälte, es ist vergessen. Am schlimmsten sind die Finger dran. Das Hantieren mit Stativ und Kamera ist mit Handschuhen nicht gut machbar. Egal, es ist jede Sekunde wert. Die unbewegliche Eisfläche bündelt das Licht, es kommt herüber. Nur darauf habe ich gewartet. Darauf, dass nach einer möglichst intensiven blauen Stunde endlich die Sonne aufgehen möge.

2019 © DT-Classics
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Die Stelle hier am Ufer wird sich nicht erinnern an mich. Ich hinterlasse nichts.

Die Schönheit der Welt so ohne Schaden präsentieren zu dürfen, ist vielleicht auch eine Art und Weise,

Naturschutz zu praktizieren! Die Essenz der Landschaft herauslösen,

und diesen Moment per Foto unsterblich machen, mag meine leise Art von Bewunderung sein.

Eine Ehrfurcht stellt sich ein vor dem, an was man teilhaben darf. Einfach so.

2019 © DT-Classics
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 Hier draußen ist reichlich "Social-Media". Meine sozialen Medien stecken hier in allem. In den Wurzeln und den Steinen, Büschen, Bäumen, im eisklaren Wasser, in der Temperatur, und vor allem in der alles durchdringenden Stille. Diesen Augenblicken entgehe ich nicht. In ihnen ruht allem und mir gegenüber eine nimmermüde, unendlich wohlwollende Aufmerksamkeit. Stunden wie diese sind erfüllte Sehnsucht. In ihnen gelange ich zu der Einsicht, dass sich immer auch Menschen mit einer echten Sehnsucht hinter den schneller wechselnden Masken, Marotten und Metamorphosen verbergen, mit denen im Zeitalter der überhitzten Digitalkultur um Aufmerksamkeit gerungen wird. Es mag jene Sehnsucht sein, die diese mediale Kultur nicht erfüllen kann und wohl auch nicht erfüllen will.

 Die Dinge, die wir tun, werden immer größer, jedoch längst nicht nur besser. Und wir haben gelernt, schnell zu sein. Doch kaum jemand vermag noch auf etwas zu warten, oder im Nichtstunkönnen etwas Gutes zu erkennen. Das intuitive Gespür für die eigene Ursprünglichkeit findet sich am ehesten noch hier draußen. Man sieht klar, reduziert sich auf sich, der Einklang ist greifbar. Da sind die Dinge dann wie von alleine herrlich unverfälscht und echt. Nichts ist Kopie von irgendwas. Man muß nur wachen Auges richtig hinschauen. Denn alles ist das, was es ist.


Für die Foto-Freaks unter euch finden sich weiter Aufnahmen in den Rubriken hinter den Buttons.



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Kommentare: 2
  • #1

    Ben (Mittwoch, 11 Dezember 2019 15:21)

    "Alles ist das, was es ist". Wirklich genial einfach, und ohne Aufwand stimmig.
    Dankeschön für die kurzweiligen Beiträge und die schönen Bilder!

  • #2

    Dirk von DT-Classics (Mittwoch, 11 Dezember 2019 17:03)

    Und ebenso danke für deinen Besuch!
    Wenn es etwas Positives auslöst, ist alles erreicht.
    Freundlichen Gruß, Dirk