Im Winter träume ich ständig vom Sommer. Vom Winter hingegen träume ich im Sommer überhaupt nicht mehr. Diese Entwicklung ist offensichtlich, Dunkelheit und Kälte kriege ich zunehmend schlechter verdaut. Von daher ist es wohl nur eine logische Schlußfolgerung, für Fahrten & Reisen eher südlichere Gefilde zu bevorzugen. An irgend einem trübseeligen Winterabend vorm Rechner sitzend, erschien dann im Zuge des Abgrasens erreichbarer Reise-ziele eine Landschaftsaufnahme am Monitor, die mich fesselte und nicht mehr loslies. Es hätte sonstwo sein können. Nordamerika, Neuseeland... Unter dem Foto stand dieses mir bis dato nicht bekannte Wort.
"Vercors".
Es ist 20:30h, wir sind "on the road", südwärts. Wir haben Mitte Juni, und es ist Sommer! Paar Stündchen läuft´s noch, in einem Rutsch wollen wir sowieso nicht bis in den Vercors fahren. Die nahezu kürzeste Nacht des Jahres verwöhnt mit langer Helligkeit, wir können daher Regen und Gewitter deutlich länger sehen als sonst. Was für ein Abfahrts-Szenario!
Obwohl schon sofort zuhause bei der Abfahrt im Bulli entspannte Reisestimmung aufkommt, hängen meine Sinne noch aufmerksam an allen hörbaren Geräuschen, wahrnehmbaren Vibrationen und sonstigen Schwingungen. Das ist jedesmal so. Ich konzentriere mich zu anfangs darauf, wie die alte Technik so arbeitet, und wie alles summt, brummt und läuft. Und irgendwann denke ich dann nicht mehr dran. Bei einer Geschwindigkeit von 100-110Km/h sind im Camper dank gefüllter Schränke und säuselndem Wasserboxer nur noch Wind- und Laufgeräusche zu hören. Herrlich leise, was ein Luxus! Wir haben die langen Lehnen der WESTFALIA-Reisesitze herunter geklappt, die erste Urlaubsfiebrigkeit legt sich, unsere erregte Auftaktbabbelei ist fürs Erste verstummt.
Wo doch so viele reizvolle Regionen Frankreichs den weiblichen Titel tragen (DIE Provence, DIE Carmarque, DIE Bretagne...), leite ich aus der Tatsache, das DER Vercors männlich zu sein scheint, die subjektive Schlußfolgerung ab, dass es dort wohl nicht ganz so lieblich ist, wie über-wiegend in La France.
Nun ja, jedenfalls unmittelbar südwestlich von Grenoble liegt er, DER Vercors, und er ist damit streng genommen der westlichste Teil der französischen Alpen. Dieses wilde, burgenhafte Gebirgsmassiv steht allerdings völlig eigenständig da, ziemlich losgelöst vom Rest der Alpen.
Die Zuordnung der geographischen Begrifflichkeiten ist
auf den ersten Blick auch nicht ganz eindeutig.
Einerseits ist der Vercors eine räumlich klar umrissene Gebirgszone, andererseits gehört alles zur Dauphine.
Dies wiederum ist aber keine geographische, sondern
eine historische Bezeichnung. Die Verwirrung komplett macht dann noch die Zugehörigkeit zu den Départements Isère und Drome.
Der Vercors ist jedenfalls die letzte echte Gebirgswildnis, eine alpine Bastion, bevor es bei dem Städtchen Die in die von Lavendel geschwängerte Provence geht. Ja, die Stadt Die, die heißt wirklich Die.
Wie die meisten Feriengebiete Frankreichs wird auch der Vercors zum größten Teil von den Franzosen selbst besucht. Frankreich hat dieses Jahr durchgängig Ferien vom 06. Juli bis Mitte August. Unsere Reise haben wir deshalb bewußt vor diesen Zeitraum gelegt.
Für die Anreise aus Deutschland gibt es sicherlich mehrere empfehlenswerte Varianten, die sich je nach Wohnort anbieten. Wir haben uns entschieden, die A5 zu nutzen, an Freiburg vorbei über Basel, dann Landstraße ab Biel, entlang der schönen Seen Richtung Lausanne, und ab dort wieder Autobahn bis Genf zu fahren. Auf solchen Nebenstrecken spielt unser VW Bus auch all´ seine Vorzüge aus. Wir gleiten mit 50, 60, höchstens mal 80km/h durch die Landschaft, rechts teils Weinberge, und linker Hand fast immer freie Sicht auf die großen Seen. Das hat was! Alles wird untermalt vom Reise-Feeling, vom Bulli-Sound, und einem sommerlich warmen Luftzug, der durch die beiden Dreiecksfenster hereinweht. Außerdem bleibt bei so einer beschaulichen Art der Route Zeit, sich einzustellen auf das, was kommt. Wir haben einfach die Zeit dazu, uns auch "innerlich" auf Urlaub einzustimmen.
Und dann sind wir an den Seen vorbei, nur noch ein paar Gashübe bis Genf. Unmittelbar dort ab der Grenze folgen wir anschließend der französischen Autobahn bis Grenoble. Ein paar Impressionen der Anreise machen deutlich, dass das alles andere als eine Stresstour ist. Genuss pur, Cruisen, und immer entlang der herrlichen großen Seen der Westschweiz ist angesagt.
Zwischenübernachtung im
letzten Zipfel Deutschlands.
Blick vom einem Rastplatz
weit hinüber ins Jura.
Die große Vorratskiste
und genügend Kaffee für unterwegs!
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Pause am Lac Neuchatel (Neuenburger See/CH)
Ab Grenoble ist dann je nach weiterer Planung mit einem zügigen Vorankommen vorerst Schluß.
Dazu Folgendes: Man macht sich auf solchen Touren in betagten Klassikern sicherlich Gedanken darüber, wie lange und steil die Steigungen wohl sein mögen, die es zu bewältigen gilt. Da hat jeder Wagen samt seines Besitzers so seine unverrückbare Schmerzgrenze. Und kurzum gesagt, der Vercors ist nicht unbedingt eine jener klassischen Paradegegenden für Freunde entspannter Flachetappen.
Von Grenoble drängt sich die D 531 geradezu auf. Diese steile, aber im Vergleich zum restlichen Routenangebot passable Straße liegt in direkter Linie zum Hochplateau, wenn man im Vercors überhaupt von sowas wie direkter Linie sprechen sollte. Die eindeutige Mehrzahl direkter Linien gibt es hier nämlich nur in der Senkrechten.
Die D 531 führt aus Grenoble in dessen Vorort Sassenage und von dort erfolgt der Aufstieg ins Hochplateau. Vom Plateau aus ist allerdings die Straße in unser Zielgebiet, die Bourne-Schlucht, wegen umfangreicher Hangabstürze für länger gesperrt. Wir umrunden daher den Vercors westlich und dringen von unten in die Schlucht ein.
Die Straße ist spannend genug, und mit entsprechender Sensibilität und Geduld durchaus auch per Oldtimer gut zu meistern. Das betrifft tatsächlich alle von uns gefahrenen Straßen im Vercors, der alte T3 hat keine Zweifel daran aufkommen lassen. Weitere empfehlenswerte Zugangsmöglichkeiten, um allerdings mit Wohnwagen, große Wohnmobilen, und Fahrzeugen mit eher mäßiger Motorleistung problemlos hoch in den Vercors zu gelangen, gibt es nur sehr, sehr wenige. Die Kurven sind zu eng, die Überhänge zu nierdrig, die Steigungen zu gewaltig.
Dann die Ankunft in Choranche. Dort gibt es auf kurzer Distanz einige Campingplätze,
nämlich den kommunalen, der fast noch im Ort liegt, etliche kleinere Bauern-Campings im näheren und weiteren Umland, sowie den von uns gewählten Camping Gouffre de la
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Der Fluß Bourne samt spitzenmäßiger Badestelle ist hier auf natürliche Weise Teil des Campingplatzes. Wie bei vielen Bergflüssen ist der Anblick wunderschön und einladend, wird aber dann plötzlich zur Herausforderung, wenn man tatsächlich motiviert ist, in die Fluten zu steigen. Die meisten Protagonisten geben sich mit möglichst lässig wirkendem Wasserwandern bei maximalem Eintauchen bis kurz unterhalb der Badehose zufrieden. Das ist in dem Fall absolut nachvollziehbar.
Und auch hier ist das Baden kostenfrei, die Duschen sind nutzbar, und am gegenüberliegenden Ufer auf den Felsen (links) trifft sich die Dorfjugend. Ihre abgerockten Roller und Mofas stehen natürlich auch ohne Parktickets am kostenlos nutzbaren Rastplatz neben den Autos der Familien, die zur freien Verfügung stehende Grillplätze nutzen. Einfach so. Bei uns im Regulierungs-, Vorschriften- & Verbotsstaat...undenkbar sowas.
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Choranche, hier leben keine 150 Seelen.
Der Ort selbst vermittelt mir nicht, ob er die besten Tage vor, oder hinter sich hat. Vieles sieht leicht morbide aus, anderes wieder gar nicht.
In so einigen Häusern und Fassaden steckt Geschichte, anderen wiederum sieht man die Erneuerungen der Neuzeit an. Ortsmittelpunkt ist gerade immer der Ort, wo mehrere Menschen zusammen stehen,
oder eins der ganz wenigen Lokale, in denen Getränke, einfache Speisen, und ein bisschen Einblick in die Landeskultur zu bekommen sind.
Die auffälligste Unruhe hier verströmen die vielen Motorräder, die die Bourne-Schlucht hinauf brummeln. Störend ist das nicht, Lebensfreude hat zum Glück viele Gesichter. Mein Verständnis hat hier jeder, der diese außergewöhnlichen Strassen auf seine Art und Weise geniessen mag. Es ist herrlich, und oftmals spektakulär. Oldtimer, Sportwagen, Motorräder, Rennräder, man sieht sie hier alle.
Und nicht zuletzt liegt weit oberhalb Choranches am Ende einer eigens angelegten Strasse die tief ins Felsmassiv reichende Grotte de Choranche. Es ist die bekannteste, die größte, und die per Auto erreichbare Grotte im Vercors. Auch wenn klar ist, dass dies sicherlich eine der Haupt-einnahmequellen der Region sein wird: Wir haben sie uns nicht angesehen.
Es riecht zu sehr nach Massenabfertigung. Hingegen, ein paar nur sehr schwer zugängliche Grotten, denen die ständigen Reisebuskolonnen verschont geblieben sind, haben wir uns mühsam erwandert. Lohnt!
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Choranche
Wir sind etwa 6 Tage hier. Die Gegend in direkter Umgebung von Choranche ist wunderbar. Wer sich die eher bekannteren Highlights und ein paar zusätzliche "Geheimtipps" unmittelbar von der eigenen Schiebetür aus erwandern möchte, ohne permanent erst dafür per Auto den Ort zu verlassen, ist mit maximal einer Woche Aufenthalt gut beraten.
Guten Schrittes ist in einer knappen Stunde der flußabwärts gelegene Ort Pont-en-Royans zu erreichen. Das Wetter weiß noch nicht so recht, was es will, und als Einstiegswanderung kommt das gerade passend. Der Weg verläuft parallel zur Bourne, überwiegend im schattigen Wald, und das bei mäßigem Auf & Ab. Pont en Royans ist sehenswert. Die teils malerischen alten Häuser, die wie Vogelnester oberhalb des Flusses Bourne und seiner Schlucht an den Felsen hängen, sind charakteristisch für Pont en Royans und derart nirgends sonst im Vercors zu finden.
Von der Strasse aus fällt der Blick tief hinein in die unwirtliche Schlucht.
In den Fels gehauene Pfade, winzige Hüttchen, wenig Vertrauen erweckende Geländer,
fast schon tropisch anmutend, der Fluß ähnlich grün wie auch die Vegetation ringsherum.
In früheren Zeiten gab es hier nur eine winzige Brücke , die die Bourne überspannte, um den mühsamen Zugang in die Hochebene des Vercors überhaupt möglich zu machen. Drumrum entwickelte sich im Laufe der Zeit das heutige Pont en Royans. Viele der alten und ersten Häuser bestehen nach wie vor, und auch gut erhaltene, mittelalterliche Höhlenwohnungen finden sich darunter. Heute ist der Ort touristisch orientiert, was man allerdings ganz gut ausblenden kann, wenn man außerhalb der Ferien und nicht unbedingt an Wochenenden anreist.
Der Fußweg in den Ort wirkt mittelalterlich. Deutlich erkennbar der enge Taleinschnitt, hier talabwärts fotografiert.
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Dieses Foto ist von der Picard-Brücke aus entstanden. Das Hotel an der Haupstrasse heißt auch Picard. Vielleicht war Jean-Luc ja mal hier, wer weiß. Obwohl die Bauwerke seit Ewigkeiten bestehen, wird mir bisschen mulmig bei der Vorstellung, auf einem der Balkone oder Mini-Erker zu stehen. Durch dünne Stelzen getragen, die sich fast schon verzweifelt wirkend auf Vorsprünge und Felsnasen stützen, wirken sie alles andere als sicher. Bei uns hierzulande wäre sowas sicher längst gesperrt, der Sanierungsplan erstellt, und eine Wiedereröffnung für kurz nach Freigabe des Berliner Flughafens terminiert.
Das Wasser vor der Häuserzeile mutet unwirklich an.
Glasklar, mit seltsamer Färbung und den
unter Wasser fortlaufenden Felsbänken,
entsteht so eine fast schon unheimliche Stimmung.
Direkt an der Wasserlinie sieht alles nochmals anders aus.
Die Bauwerke, Mauern und Uferwege wirken nicht mehr
so verspielt, wie von oben betrachtet,und auch der Fluß
zeigt sich weniger durchsichtig.
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Eine erste anspruchsvollere Tour führt uns am nächsten Tag steil heraus aus Choranche, bis unter die senkrecht aufstehenden Felswände, die wir vom Campingplatz aus sehen. Direkt am Fuß dieser Felswände verläuft ein spannender, wilder Pfad. Er führt uns nach etwa 2 Stunden Gehzeit zu einer ersten, kleineren Grotte. Die kommt gerade richtig, denn der Stern brennt mächtig heute. Im weiteren Verlauf wechseln sich Wasserfälle, wilde Bäche und Aussichten in die Bergwelt des Vercors ab. Hier zeigt sich erstmals in ganzer Pracht, wie einzigartig diese Gegend ist. Noch wundern wir uns, dass außer uns niemand unterwegs ist. Aber an den Zustand werden wir uns gewöhnen, denn er wird sich bis zur Abreise kaum ändern.
Auf den Wegen begegnet uns nahezu nie jemand.
Über uns in den Steilwänden ist deutlich mehr los.
Haarscharf am Fuße der Felswände
zieht sich der Bergpfad entlang
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Völlig ohne Sperre, Kartenautomat oder Verbotsschilder.
Eintritt in die Unterwelt, in diesem Fall eine Grotte.
Absolut traumhaft! Ein paar Fledermäuse
schwirren im Halbdunkel, die Kühle hier ist angenehm.
Scharfkantig der Pfad, hochkarätig die Aussicht. Panorama ist der hier angemessene Ausdruck.
Der Wilde Westen auf französisch. Denkt man sich nur kurz alle Vegetation weg,
könnte es durchaus auch eine Gegend in den USA sein.
Der Vercors ist ein Karstgebirge. Alles Wasser zeigt sich nur kurz, und verschwindet dann im Inneren des Massivs. Hier unten in der Bourne-Schlucht trifft man noch eher auf Rinsale, Karstquellen, Wasserfälle. Es ist das Wasser, das weiter oben am Hochplateau erst gar nicht offen fließend vorkommt. Diese Tatsache wird absolut elementar für Leute, die auf dem Fernwanderweg GTV (Grand Traversée du Vercors) unterwegs sind. Auf Strecken, die teilweise mehrere Tagesmärsche ohne Erreichen von Häusern, Orten, etc bedeuten, (Normalzustand dort) gibt es keine einzige Möglichkeit der Wasserversorgung. Alles nötige Trinkwasser muß zwingend mitgenommen werden.
Ein Stückchen Paradies, hautnah, zum anfassen. Solche Kleinode, die finden sich hier im Vercors hinter jeder Biegung. Allerdings liegen diese Biegungen selten auf Wurfweite der Strassen. Diese Stellen wollen entdeckt sein.
Die nächste Tour, übrigens auch direkt am Campingplatz startend, führt uns diesmal auf der rechten Seite talaufwärts. Dort habe ich bei einer Tour per Mountain-Bike einen Wasserfall gesehen, der unser Tagesziel sein soll. Dass sich unmittelbar dahinter ebenfalls eine große Grotte befindet, wird zur eigentlichen Sensation, denn davon wußten wir gar nichts.
Grotte de Bournillon
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Die Bourne-Schlucht oberhalb von Choranche. Das Foto ist entstanden während einer
Bergwanderung über die Siedlung Chatelus hinaus hoch zum Plateau. Links oberhalb des Stausees zu sehen die gewundene Pass-Straße. Ganz links im Bild, unmittelbar unterhalb der hellen
Felswand verläuft die Straße zur Grotte de Choranche. Und ganz unten, außerhalb der linken Bildecke, da liegt Choranche.
Vorab detaillierte Informationen zu sammeln, die naturnahes Campen, Wandern und Bergsteigen im Vercors betreffen, ist eine kurze, knappe Angelegenheit. Auch allgemeinere Reiseliteratur zu dem Gebiet zu suchen, ist ein ernüchterndes Unterfangen. Kurz gesagt; es gibt nicht viel. Bezüglich deutschsprachiger Bücher, Karten oder Wanderführer ist der Bereich Vercors/Dauphine tatsächlich ein ziemlich weißer Fleck.
Als nützlich ist uns erschienen, eine gute Strassenkarte zu kaufen, die sowohl Straßen, Orte, als auch geographische Marken wie Berggipfel und Flüsse namentlich aufzeigt. Außerdem einzigartig in deutscher Sprache sind die beiden ROTHER Wanderführer von Irene Kürschner. Wir haben eine ganze Reihe ihrer vortrefflich gewählten Touren nachgelaufen, und bis auf eine kleine Irritation nichts auszusetzen gehabt. Die "IGN Massif du Vercors" ist eine eigentlich französische Karte, die allerdings selbsterklärend, hoch präzise, und daher super brauchbar ist. Außerdem haben wir Wanderkarten an Parkplätzen und Ausgangspunkten abfotografiert, um ein paar weitere Orientierungshilfen zu haben. Die Wege generell haben teilweise keine, oder nur mäßig häufige Wegzeichen, die sich manchmal bloß in kleinen, sich gerne unsichtbar machenden Steinmännchen zeigen.
Was kräucht, fleucht & flattert im Vercors? Was wir gesehen haben, seht ihr hier:
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Wer seine Form von Lebensfreude durchaus auch für klassische Automobile entwickeln kann, der findet diesbezüglich immer was. Schätze im Vercors. Teils im Corso irgendeines Clubs auf den Serpentinen unterwegs, oder als vergessene Ikone hinter Steinmauern und in alten Schuppen stehend, finde ich dann doch ein paar leckere Augenschmäuse. Spannend zu sehen, dass sich der französische Patriotismus in Sachen Autos ein wenig verwässert. Ob G-Modell, VW Porsche 914, TOYOTA oder VOLVO, es finden sich gute Beispiele für Völker-verständigung und gemeinsame Freude an den guten Dingen.
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Apropos Frieden und so... die französische Lässigkeit treffen wir hier im Vercors überall. Die viel beschriebene Ablehnung den Deutschen gegenüber; wir (emp-)finden sie nicht, und bekommen sie auch nirgends zu spüren. Uns wird ausnahslos freundlich begegnet. Und dass, obwohl gerade hier im Vercors die Deutsche Wehrmacht viel dafür getan hat, die Deutschen nicht gerade mögen zu müssen. Aber auch ohne politische Prägung; als Reisender hier in dieser Gegend gehört es einfach dazu, ein wenig Auseinandersetzung mit den Unrühmlichkeiten zu betreiben, die Deutschland damals hier vollführt hat. Mit ein wenig Interesse an Land & Leuten kommt man im Vercors gerade an dieser Sache einfach nicht vorbei. Ich denke oft dran während der Tage hier. Wen dieser Teil der deutsch-französischen Geschichte interessiert, dem empfehle ich die hinter dem Link folgende Literatur:
Alter Friedhof in Chatelus
Häuserzeile in La Chapelle en Vercors.
Fast 90% lag nach 1945 in Schutt und Asche,
der Wiederaufbau zählt heute
zum offiziellen Kulturerbe Frankreichs.
Eine Straße in Autrans. Auch hier mischt sich
in den sonnigen Tag einer freundlichen Gegenwart
die Allgegenwärtigkeit der noch gar nicht so lange vergangenen Vergangenheit.
Die letzte Generation derer,
die Teil der damaligen Ereignisse war,
sie existiert noch in den alten Menschen,
die im Vercors leben.
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Begegnung, Unvoreingenommenheit, Gastfreundschaft.
die Stühle runterklappen, gemeinsam hinsetzen,
ein Glas Wein zusammen trinken.
Wir haben es in der Hand.
Die zweite Station unserer Reise ist der Ort Meaudre,
und der liegt in einem
Seitental des Hochplateaus.
Wir wählen den Campingplatz Les Buissonnets. Hier erwischt uns die im wahrsten Sinne heißeste Zeit der Reise.
Der Platz bietet wenig Schatten, wir verkriechen uns samt Bulli und Zelt in einer der letzten parzellierten Nischen, wo Sträucher und Bäume zumindest stundenweise Schatten spenden.
Meaudre, ein paar "Streiflichter" daraus.
Von Meaudre aus unternehmen wir das erste Mal eine Anfahrt per T3, um unsere Bergtour zu starten. Ziel ist der für seine super Aussicht bekannte Berg Pic St.- Michel. Beruhigend souverän bollert der Bulli die Berge rauf und runter. "Wie aus einer anderen Welt", denke ich schonmal, denn so im Alltagsbetrieb sehen wir tatsächlich keinen Oldtimer, mit dem Reisende unterwegs sind. Höchstens den ein- oder anderen alten R4, R5 oder auch mal 2CV der Einheimischen bekommen wir zu Gesicht.
Kurvenreiche Anfahrt zum Parkplatz.
Der Blick reicht weit hinunter bis nach Grenoble.
Die französischen Hochalpengipfel reihen sich auf,
ganz links irgendwo wäre bei Fernsicht
der Mt. Blanc zu sehen.
Auf der anderen Seite schaut man
ins Hochplateau des Vercors. Villard De Lans liegt
immerhin auch schon über 1000m,
der Pic St.-Michel knapp unter 2000m.
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Luis Trenker und Leni Riefenstahl hätten es nicht besser hinbekommen, jede Wette.
Eine unfassbare Weite zeigt sich schon hier, kurz unterhalb des Mt. St- Michel.
Der dritte, und somit letzte Campingplatz unserer Reise
Auch hier ist Hitze durchaus ein Thema, es kratzt mal wieder an der 40 Grad-Marke.
Aber es gibt was, dass uns den Tag nach der Tour versüßt.
Aber egal, es hat was, es tut gut, Genuss der besonderen Art.
Im übrigen, wunderbar gelegen,
gut ausgestattet, zu sehr fairem Kurs,
mit wirklich angenehmen, netten Betreibern, bekommt dieser Platz
La Chapelle en Vercors ist ein ansehnliches Städtchen. Wie schon erwähnt, hält die nachbarschaftliche Geschichte auch hier düstere Kapitel bereit, von denen wir allerdings nichts abbekommen. Hohe Freundlichkeit, viel Herzlichkeit, und ein tagsüber recht stilles Städtchen, durch das sich entdeckungsvoll schlendern läßt.
Die Menschen hier sind heiße Tage durchaus eher gewoht, als wir Südwestfalen. Dennoch, oder eben gerade deshalb, wird über Mittag Ruhe gehalten. Aus den teils geschlossenen Fensterläden dringt französische Musik, oder Fetzen von verhalten geführten Gesprächen. Läden und Geschäfte machen in der Regel erst im späteren Nachmittag wieder auf. Mir fällt schon am ersten Tag die gesamte entspannte Atmosphäre auf, die völlig selbstverständlich alles und jeden (be-)trifft. Dem entzieht sich keiner, man wird einfach so selbst Teil dessen.
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Die letzte größere Bergtour unternehmen wir im Süden, und zwar um den Col de Rousset herum. Auch dazu geht´s erst per T3 los, und zwar hoch auf die Passhöhe. Nach etwa 20 Kilometern Anfahrt samt Abschluß-serpentinen erreichen wir die menschenleere Passhöhe. Am dort verrammelten Hotel samt verwaistem Parkplatz, der wohl eher den vielen Wintersportlern vorbehalten sein mag, machen wir uns breit und ziehen los. Der völlig grüne, aber baumlose Gipfel des 1656m hohen But de Nève ist unser Ziel. Er bietet fantastische Aussichten vom südlichen Ende des Vercors über Die hinweg und in die Französischen Hochalpen hinein.
Die Straße durchläuft am Scheitelpunkt der Passhöhe des Col de Rousset einen Tunnel. Von daher gibt es die Möglichkeiten, zum Schauen über dem Tunnel auf den Berg zu steigen, oder aber auf der Nordseite in den Vercors, bzw. auf der Südseite des Tunnels deutlich weiter über den Vercors hinaus zu blicken. Im Tal südwärts sieht man die Ortschaft Die, umrahmt vom Gebirge und vom Naturschutzgebiet des Vercors, der Montagne de Lans, der Triéves und weiter hinten liegender Ketten alpiner Bergzüge im Osten.
Die Südrampe des Col de Rousset ist, wie auch die Bourne-Schlucht, ein automobiles, wie auch radsportliches Nougatwürfelchen. Die Steigungen sind machbar, die Kulisse ist grandios, alles schmeckt herrlich nach Tour de France. Bitter, dass ich zur Zeit kein brauchbares Rennrad habe, das hier wär´s gewesen, ganz klar!
Und Mountain-Bikes sind die un-geliebten Räder Frankreichs. Alle fahren Rennrad, und auch nur die grüßen sich.
Es ist atemberaubend schön am Col de Rousset.
Oben vom Gipfel des But de Nève schaut man nach Westen weit über das Hochplateau des Vercors. Man vertut sich richtig leicht, Entfernungen und Höhenlagen halbwegs treffsicher einzuschätzen. Es liegt alles deutlich höher, als es scheint, aber insgesamt ist der Vercors keine riesige Region. Das macht es auch geradezu interessant, sich ausgiebiger auf diese eine kompakte Ecke des Landes zu konzentrieren.
Der Blick über die grüne Ostflanke
des But de Nève hinweg.
Das lange gestreckte,
leicht ansteigende Tal zieht sich entlang
der linker Hand liegenden Les Gauras nordwärts
Richtung La Chapelle und Vassieux en Vercors.
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Der Club Joker hat diese Reise ohne Auffälligkeiten gemeistert. Gute 2200 Kilometer Anfahrt/Rückreise, und nochmal etwa 300 Kilometer Pässe und Schluchtenstraßen im Vercors, keine Selbstverständlichkeit, wie ich finde. Für die Statistiker unter euch noch ein paar Verbrauchswerte. Kühlwasserverbrauch war keiner feststellbar, Ölverbrauch auf die Gesamtstrecke lag bei unter 0,3 Liter, und beim Sprit lag der Mittelwert der gesamten Tour bei etwa 10-11Liter/100Km. Trotz der teilweise hohen Außentemperaturen sind Motortemperatur und gefühlte Innenraumtemperatur absolut gut gewesen. Rückwirkend betrachtet verliefen diese Dinge wirklich entspannter, als ich mir das vor der Tour so ausgemalt hatte. Bestätigung und Freude löst das aus in mir, denn ganz ohne eine gewisse Anspannung geht´s in klassischen Automobilen wohl nie auf lange Tour.
Ach ja, bezüglich der Pässe, Schluchten, und wilden Straßen:
Auf den paar wenigen Fahrten durch die
für Vercors so bekannten Schluchten
sind mir keine Fotografien möglich gewesen.
Anhalten ist dort kaum drin, schon gar nicht
mit Muße und Ruhe. Stattdessen habe ich einfach mal
die Kamera auf Video-Funktion gestellt.
Dieses völlig unbearbeitete, etwas ungehobelte Filmchen,
mit viel Landschaft und Boxersound pur, das findet ihr sozusagen als "Bonus" hinter dem Link hier rechts, viel Spass!
Das Video ist zur Zeit in Überarbeitung !!
Ein Fazit der Reise.
Wenn ich mit den negativen Umständen der Reise anfangen sollte, wird die Liste kurz ausfallen. Vielleicht ist die Anfahrt von gut 1000 Kilometern nicht jedermanns Sache. Im Kleinwagen hätte ich da auch keine Lust zu. So, im klassichen Camper, geht´s absolut prima, und mit einer Zwischenübernachtung ist das ziemlich entspannt.
Der Vercors ist eine Region, die touristisch ein wenig links liegen gelassen, und daher noch deutlich urtümlich wirkt. Dementsprechend sind die Wege in die Natur, zu tollen Landschaften und außergewöhnlichen Bergen und Tälern allgegenwärtig, und im Grunde genommen kurz. Um hingegen einen Supermarkt zu finden, sieht´s je nach Landstrich anders aus. Der sonst gewohnte kurze Trip in den Discounter: Fehlanzeige! Eine gute Planung ist daher gerade für Selbstversorger hilfreich und wichtig. Der Vercors ist eine durchweg alpine Region. Wetterlagen sind daher gut zu beobachten, wenn man länger zu Fuß losgeht, vor allem auf Bergtouren.
Die Straßenführungen sind nicht selten verwegen! Meiner Meinung nach ist das einzigartig, und in Europa in der hohen Dichte wie hier sonst kaum zu finden. In Fahrzeugen wie dem unseren gilt es bei sowas, die Nerven zu behalten. Halbgas, mittlere Drehzahlen, und einfach laufen lassen. So wird aus der Tour keine Tortur.
Animation und All-Inclusive findet man hier zum Glück nirgends. Hier gibt es tatsächlich noch täglich Neues zu entdecken, und zwar auf eigene Faust! Das ist meist mit körperlichem Einsatz und dem Spass an Bewegung verbunden. Ergebnis dieser Tatsache ist, dass wir an nahezu jedem Ort, den wir erwandert haben, völlig alleine waren. Außer auf dem einen oder anderen Bergpfad ist uns so gut wie niemand begegnet. Wir haben es genossen, ein wenig ein- oder unterzutauchen in dieser ganz und gar unversauten Gegend. Der Vercors ist ein perfektes Reiseziel für aktive Individualisten, und für Leute, die nicht zwingend viele Menschen um sich herum benötigen, und die ein Herz für Authentizität haben. Davon gibt´s hier zum Glück reichlich.
Vielen herzlichen Dank für Aufmerksamkeit und Interesse!
2019 © DT-Classics
Weitere Reisebeschreibungen finden sich in den Rubriken "Treibstoff 2019", sowie
"Im Rückspiegel, 1983-2018".
Einige habe ich hier verlinkt:
Rolf Hollstein (Freitag, 18 Dezember 2020 06:31)
Ein ziemlich beeindruckender Bericht, mit hochgradig Lebensfreude, Bulli-Freude, und Genuss des Einfachen. Wie luxuriös das alles sein kann, auch das vermittelt DT eindrücklich.