Auf was wir warten

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  Gelesen habe ich neulich, wie die US-Amerikaner über uns Deutsche denken. Inmitten vieler anderer Klischees tauchen auch die fast schon witzigen Annahmen auf, alle Deutschen tränken gerne Bier, hätten grobe Lederhosen an, und besäßen einen VW Bus von WESTFALIA. Lassen wir das Bier und die Lederhosen weg, stimmt´s in meinem Fall. Davon, worauf die Deutschen so warten, wissen die Amerikaner jedenfalls nichts. Und von dem, worauf ich warte, schon gar nicht.

 

 

  Die Neuzeit, diese maximal schnelllebige Epoche, in der wir alle stecken, rast rasant. Und nicht selten rasen wir einfach so mit. Viele unserer guten Eigenschaften sind allerdings in Eile nicht einsetzbar. Das mag daran liegen, dass sie in ihrer Charakteristik nur in Ruhe funktionieren. Fürsorge, Aufmerksamkeit, Bedächtigkeit, Geduld, Akribie, Handwerkskunst, alles das gelingt nur in Ruhe. Und auch das Warten gehört dazu. Warten in Eile ist paradox, denn Warten dauert nunmal.

 

 

  Warten, oh ja, wir wissen alle, was das heißt. In jungen Jahren ist es das Christkind, vielleicht warten wir später auf wichtige Post, oder wir können es kaum erwarten, dass sich unsere Kinder bei uns melden. Vielleicht sind es auch Entscheidungen, auf die wir warten, oder darauf, dass sich unsere Liebe erwidern lasse, und das eigene Verzehren endlich aufhören möge. Doch egal wie, es geht immer einher mit Zeit, die spürbar langsamer vergeht, als wir es in dem Augenblick gerne hätten.

 

 

  Mein jährliches, langes Warten beginnt mit eintretendem Winter, und hört erst auf, wenn Kälte, Schnee und Salz im Frühjahr endlich wieder verschwunden sind. Denn worauf ich warte, sind die Gelegenheiten, meinen alten WESTFALIA Bus aus dem Schuppen zu rangieren, und auf Tour zu gehen. Dieses Winterwarten verfolgt mich seit eh und je, und es stellt sich keine Gewohnheit dazu ein.

 

  Dabei ist es gar nicht nur reduziert auf den Vorgang des Autofahrens an sich. Das ist zwar im VW Bus T3 eine hoch weihnachtliche Angelegenheit, aber während der Monate, in denen der Wagen steht, steht auch von mir ein bedeutsamer Teil still. Erlebnisse und Emotionen, die viel mit Agilität, Bewegung, Reisen und dem Zustand von Freiheit zu tun haben, geraten während der automobilen Eiszeit in Stillstand. Das ist auch nicht durch Fahrten mit anderen Fortbewegungsmitteln ersetzbar. Genau betrachtet, fehlen mir nicht nur die Aktivitäten rund um dieses wundervolle Fahrzeug, sondern ich vermisse tatsächlich auch mich selbst.

 

 

  Warten können mag eine Tugend sein, manchmal ist es aber nichts anderes, als schmerzlicher Verzicht. Doch wie auch immer, Warten schafft den Einklang zwischen dem, was gerade ist, und dem Sehnen nach etwas, das gerade nicht ist. Und so ist es tatsächlich. Nach den dunklen, trüben, der Sonne entbehrenden Wintermonate, stellt sich mit dem Licht und der Wärme des Frühjahrs auch endlich wieder jene spezielle Harmonie ein, die sich kaum ersetzen lässt. Im Warten steckt der Segen, Harmonie zwischen der Welt und sich selbst zu erzeugen.

 


2024 © DT-Classics

 



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Kommentare: 6
  • #1

    Andi (Dienstag, 12 März 2024 07:53)

    Servus Dirk,

    mit deinen Zeilen und der Einschätzung der US-Amerikaner kann ich mich durchaus identifizieren, selbst das Klischee mit Bier, Lederhose im alten VW Westfalia stimmt.

    Schöne Gedanken über das Warten, denn im Grunde ist es doch das füllen der Lebenszeit wie wir uns definieren. Jeder wie er mag und kann, der eine etwas schneller der andere etwas geruhsamer. Mit der nötigen Ruhe wird einem vieles bewusster, ich freu mich dennoch auf Hektik den der Frühling mit sich bringt, wieder raus ...

    Beste Grüße
    Andi

  • #2

    Dirk von DT-Classics (Dienstag, 12 März 2024 10:08)

    Hi Andi,

    schönen Dank für deinen KEsommentar! Jawohl, auf die belebende Unruhe einer möglichst langen, sonnigen Bulli-Saison freue ich mich auch... ;-))

    Herzliche Grüße aus Siegen!

  • #3

    Werner (Dienstag, 12 März 2024 13:30)

    Lieber Dirk,
    das Warten kann durchaus heilend wirken. Früher (so lange noch gar nicht her), da warteten wir auf Züge, an Haltestellen, auf den Beginn eines Films... und waren nicht immer abgelenkt vom Blick auf das Handy; es kamen keine Nachrichten, die wir beantworten mussten und keine Posts, die es dringend zu lesen galt. Beim Warten waren wir oft mit uns alleine. Und das war gut so. (Sehe ich heute mit viel Abstand betrachtet so). Das Warten hat eine Funktion: Es schärft den Verstand auf das, worauf wir uns freuen. So wie du jetzt auf die Ausfahrten, das Licht, die Wärme. Dafür wünsche ich dir von Herzen alles Gute und viel Freude (und beim Warten innige Momente).

    Liebe Grüße
    Werner
    (ehemals "AlleAugenblicke.de")

  • #4

    Dirk von DT-Classics (Dienstag, 12 März 2024 19:52)

    Geschätzter Werner,

    was ist es schön, dich hier immer mal wieder zu wissen, ganz lieben Dank dafür!
    Was du schreibst, teile ich uneingeschränkt - genau so ist das.
    Apropos schreiben: Lass´mich wissen, wo ich dich beizeiten lesen darf, du fehlst... ;-)

    Herzliche Grüße in den Kraichgau, Dirk

  • #5

    Klaus Leppardt (Mittwoch, 13 März 2024 09:44)

    Ach wie schön eingebunden die tollen schwarzweiß Fotos un den feinsinnigen Text, es macht Spass, zu lesen und zu sehen.
    Eine schöne Saison wünsche ich und freue mich auf die Artikel!

  • #6

    Dirk von DT-Classics (Mittwoch, 13 März 2024 17:44)

    Hallo Herr Leppardt,

    vielen Dank für das Lob und die Wünsche zur Saison!
    Artikel werden in jedem Fall folgen, versprochen... ;-)