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Gut erinnern kann ich mich noch daran, wie der Notfallplan meiner Oma aussah: Licht aus, Strom abschalten, und niemand durfte mehr aufs Klo. Stark geplagt von Angst bei Gewitter, nahm sie spätestens beim ersten Blitz und Donner jenen abgewetzten Pappkarton aus dem Kleiderschrank, der ihr Überleben sichern sollte. Darin befanden sich alle wichtigen Papiere, ein altes Foto in Sepia, auf dem meine Großeltern zu sehen waren, und ein bisschen Bargeld. Mehr nicht.
Anschließend saß sie auf der Treppe zwischen „der guten Stube“ und der Haustür, in Händen den Porzellanteller mit kleinem Griff, die brennende Kerze darauf, neben sich den guten Mantel und die schwarzen Schuhe. Dann weinte sie immer lauter bei jedem Donner und Blitz, und ergab sich mit dieser Handvoll Habseligkeiten dem nicht abwendbaren Schicksal. Und das dauerte genau so lange, wie es dauerte. Wir, die unverständige „Next Generation“, auch Enkel genannt, hatten uns dieser Strafe der Götter nicht zu entziehen. Intensiv bemüht, möglichst ernst dabei zu bleiben, durften wir mit Oma gemeinsam auf den Untergang warten.
Obwohl noch keine Ewigkeit her, kommt es mir dennoch so vor. Ich kenne niemanden mehr, der bei Gewitter heulend im Eingang sitzt. Und ich kenne auch niemanden, der alles wichtige „für die Not“ in einen einzigen, kleinen Schuhkarton hinein bekommt.
Damals, zu jener Zeit, war es vor allem bei älteren Leuten tatsächlich noch üblich, in bedrohlichem Wetter ein Zeichen, sogar eine Strafe der Götter zu erkennen. Sintflut, Regenbogen, Odin, Zeus, wir kennen das. Unwetter war die von Gott gemachte Quittung. Für was auch immer. Die Menschheit versuchte tatsächlich über Jahrtausende, durch eigenes Verhalten (Beten, Opfer bringen, Sünden beichten…) die Götter zu besänftigen und um „gut Wetter“ anzuhalten.
Gewitterstimmung
In meiner späteren Kindheit ließen diese übersinnlichen Dinge deutlich nach. Ich konnte sicher sein, dass meine Kindersünden kein infernalisches Gewitter nach sich zogen, sondern Fernseh-Verbot. Das wäre so, wie heutzutage als erzieherische Strafe das Smartphone wegzusperren. Es wäre auch deutlich schmerzvoller, als ein Gewitter. Fernseh-Verbot war ebenso schmerzlich.
Heute zeigt sich, dass wir Menschen längst das Wetter beeinflussen können. Der "negative Faktor Mensch" ist in diesem Zusammenhang meteorologisch, kausal, und weltlich erklärbar. Geblieben sein könnte die Angst. Doch auch Gewitterstimmung zu fürchten, verwässert, ist Geschichte. Wir haben es im Griff. Gegen den unkalkulierbaren Anteil – nennen wir ihn Angst - haben wir auch was erfunden: Die Versicherung.
Je dicker die Versicherungsordner, umso größer die Angst.
Fängt man erst einmal an, über Ängste und Versicherungen nachzudenken, wird sehr schnell klar, wie komplex dieses Thema sein kann, und wie gefangen wir alle darin sind. Haftpflicht, Hausrat, Auto-Schutzbrief, Immobilie, Reiserücktritt, Hagel, Sturm und Hochwasser, Zähne, Brille, Luxusgüter, Smartphones und IT-Geräte, es gibt nahezu nichts mehr, zu dem uns eine Furcht beschleicht, sollten wir es einbüßen oder verlieren.
Alles gipfelt dann in einem Begriff, der in sich selbst schon die Existenzängste von uns Menschen zum Vorschein bringt: „Lebensversicherung“ !! Ist das nicht der beste Oberwitz schlechthin? Wörtlich genommen, das Leben absichern. Eines ist sicher. Wir werden das Leben nicht überleben, trotz aller sinnloser Energie, die wir Tod und Untergang entgegenstemmen.
Gewitterstimmung
Wenn ich über alles dies nachdenke, kommen mir nicht gerade selten wieder meine Kindertage in den Sinn, und meine Oma. Ihre Versicherung sah aus heutiger Sicht erschreckend primitiv aus. Das Wertvollste, was sie besaß, in einem Schuhkarton, und auf alles, was kommen mag, gefasst sein.
Ein ganzen Leben in einem Schuhkarton, und auf alles gefasst sein?
Gewitterstimmung...
Denkt nicht mal dran, ich bekomme da nix für...
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